Mit Licht geschossen | 6. Bildpräsentation
Historische Originalaufnahmen, eingefangen in Chemnitz, an der West- und Ostfront, großformatig plakatiert.
Eine Fotografie – einen Monat lang – an unterschiedlichen öffentlichen Plätzen von Chemnitz, über die gesamte historische Spiegelungsdauer 2014-2018.
Geschützfeuer
Erneut steht ein Erinnerungsfoto aus der umfangreichen Sammlung eines Chemnitzer Kriegsteilnehmers im Mittelpunkt der Bildbetrachtung. Es führt den Betrachter mitten in den Stellungskrieg an der Westfront. Es ist, infolge eines handschriftlichen Vermerks auf der Rückseite scheinbar ziemlich exakt auf den Jahresbeginn 1915, auf die Winterschlacht in der Champagne hin zu verdaten. Doch das Dargestellte gibt Anlass, das Foto einer genaueren, vor allem quellenkritischen Analyse zu unterziehen: Nicht nur die Vegetation, auch die Technik lässt Zweifel an der Bildinschrift aufkommen. Die Aufnahme zeigt, wie zwischen Mannschaftsunterständen und Munitionsbunker ein „Geschütz“ – im Gegensatz zur flachfeuernden „Kanone“ eine steilfeuernde Artilleriewaffe – in Stellung gebracht wird: Dieses Geschütz ist ein schwerer 21cm-Mörser 16 – eine Waffe, die von der Firma Krupp erst 1916 als Belagerungswaffe entwickelt und an die Westfront ausgeliefert wurde. Mit über 11km Reichweite konnte der Mörser v.a. zur Bekämpfung von Fortifikationseinrichtungen in großem Abstand hinter der Front eingesetzt werden. Mithin kann die Fotografie unmöglich während der Winterschlacht aufgenommen worden sein – aller Wahrscheinlichkeit ist die Aufnahme erst ein reichliches Jahr später, wohl während der Kämpfe um Verdun, die sich von Februar bis Dezember 1916 hinzogen, entstanden.
Dass sich in persönlichen Aufzeichnungen Erinnerungen überlagern, ist nicht ungewöhnlich. Wahrscheinlich assoziierte der Bildeigentümer die Aufnahme tatsächlich mit den Erlebnissen der deutschen Winteroffensive in der Champagne. Wenngleich auch geradezu bescheiden hinsichtlich späterer Kriegserscheinungen, wurde hier erstmalig das verheerende Trommelfeuer großer Artillerie-Verbände – über 800 Geschütze und Kanonen allein auf französischer Seite – praktiziert: Der Chef des französischen Oberkommandos, General Joffre, versuchte damit, die deutsche Frontlinie „aufzureißen“, hatte jedoch damit nicht mehr Erfolg, als dass „nur ein Spalt in die feindliche Front geschlagen wurde“ – auf Kosten zehntausender Opfer und unendlicher Traumata der Überlebenden.