Mit Licht geschossen | 36. Bildpräsentation
Historische Originalaufnahmen, eingefangen in Chemnitz, an der West- und Ostfront, großformatig plakatiert.
Eine Fotografie – einen Monat lang – an unterschiedlichen öffentlichen Plätzen von Chemnitz, über die gesamte historische Spiegelungsdauer 2014-2018.
„Demoralisiert“
Erschöpft, mit leerem Blick und in sich zusammengesunken wartet eine Gruppe französischer Soldaten auf der staubigen Dorfstraße in einer Ortschaft irgendwo hinter der Westfront auf ihren Abtransport in die Etappe, später weiter in die Gefangenenlager im deutschen Kaiserreich. Die Strapazen zurückliegender Kämpfe sind ihnen anzumerken: Sie kommen wohl direkt aus einem von den kaiserlichen Truppen überrannten Frontabschnitt. Waffen und Ausrüstung wurden bereits eingezogen, die Männer tragen ihre graue Frontuniform, das Képi oder den markanten „Adrian“-Stahlhelm der französischen Armee. Verdreckt, einige verwundet und wohl soeben frisch verbunden, geht von diesen Soldaten keine Gefahr mehr aus. Wenige bewaffnete deutsche Soldaten – Jäger der Kopfbedeckung nach – reichen zur Bewachung der Franzosen aus. Zwar in Sicherheit vor den Bedrohungsparadigmen der Frontkämpfe, stand den Männer aus Frankreich oder der französischen Kolonien in Algerien oder anderen Ortes in „outremer“ ein langer Abschied von der Heimat bevor. Dennoch bot die Gefangenschaft ein unvergleichlich höheres Maß an individueller Sicherheit; die Mortationsquote in den deutschen Gefangenenlagern lag – resultierend mehrheitlich aus Krankheitsfällen – bei unter 5%.
Die depressive Stimmung der kriegsgefangenen französischen Soldaten, die in dieser Fotografie von Juni / Juli 1917 zu Ausdruck kommt, ist jedoch nicht nur der konkreten Situation des unmittelbaren Erlebens der Gefangennahme geschuldet, sondern war über weite Strecken symptomatisch für den Zustand der französischen Armee in diesen Monaten: Die zermürbenden Fronterlebnisse, der ausbleibende Erfolg, die „Verheizungsmentalität“ militärischer französischer Eliten hatten unter den „Poilus“ zu einer nachhaltigen Traumatisierung geführt, die im Frühjahr / Sommer 1917 ihren Ausbruch in massenhaften Meutereien unter den Soldaten fand. Diese Meutereien ergriffen insgesamt 68 französische Divisionen; man nimmt an, dass daran ca. 40-50.000 Mann beteiligt waren. Insgesamt wurden 49 Todesurteile vollstreckt. Marschall Petain, der seit April 1917 den französischen Oberbefehl innehatte, rettete die Situation an den Fronten, indem er von der Offensive „à outrance“ zu einer ausgesprochenen defensiven Kampfweise überging. Das deutsche Heer nahm die neue Lage hin und konnte einige minimale Teilerfolge an den Fronten erringen, die wahrscheinlich auch zu der im Bild festgehaltenen Situation führten. Letztlich gelang es der deutschen Heeresleitung jedoch nicht, entscheidendes strategisches Kapital aus denneuen Verhältnissen an der Westfront zu schlagen – zu undurchsichtig, ja rätselhaft erwies sich das Vorgehen Marschall Petains.